Am Montag, den 09.02.2021, waren wir SchülerInnen der Klasse 9a durch unseren Geschichtslehrer Herr Rößler dazu eingeladen, einem Zeitzeugengespräch mit einem Auschwitz-Überlebenden beizuwohnen. Um 19.00 Uhr deutscher Zeit, konnten wir mit ungefähr 350 anderen Teilnehmern -darunter weitere SchülerInnen unserer neunten wie auch elften Jahrgangsstufe- Ben Lesser, der aus Las Vegas zugeschaltet wurde, zuhören, wie er von seinen Erlebnissen während seiner Verfolgung wie auch Inhaftierung durch die Nationalsozialisten berichtete.

Während des Gesprächs via Zoom bot sich für uns die Möglichkeit Fragen über die damalige Zeit an jemanden zu stellen, der das Grauen am eigenen Körper erfahren musste. Nach einer kurzen Einführung durch die Organisatoren des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), folgte eine kurze Vorstellung durch Herrn Nikolaus Saller. Der ehemalige Lehrer und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft KZ-Transport 1945 der Gemeinde Fürstenstein recherchierte viele Jahre über das größte Kriegsverbrechen in Niederbayern, in Nammering, und hatte Ben Lesser ausfindig gemacht. Im Anschluss begann Herr Lesser zu erzählen:

Im Jahre 1928 wurde er in der Stadt Krakau, die damals noch zum Deutschen Reich gehörte, geboren, wo er eine Zeit lang mit seiner Familie lebte. Mit elf Jahren wurde seine Familie gezwungen in ein Ghetto zu ziehen. Zusammen mit einem jungen jüdischen Paar lebten sie im Erdgeschoss eines großen Mehrfamilienhauses. Ben Lesser erzählte uns in jedem einzelnen Detail, wie schrecklich es war, als mehrere SS-Offiziere das Haus betraten und die zwei jüdischen Familien ausraubten. Herr Lessers Vater wurde ausgepeitscht, bis der Tresor geöffnet war und jedes einzelne Wertstück im Beutel der SS-Offiziere lag. Bei dem jüdischen Paar, das zwei Kinder, eine jüngere Tochter und einen drei Monate alten Sohn hatte, nahmen sie ebenfalls alle Wertgegenstände mit. Das Baby, das durch den Lärm aufgewacht war und schrie, wurde von einem der Offiziere mit dem Kopf gegen den Türrahmen geschlagen, wodurch es auf der Stelle tot war. „Das war einer der Momente, die sich am tiefsten eingebrannt haben.“, berichtete Herr Lesser uns – das brutale und rücksichtslose Vorgehen der SS-Offiziere gegenüber der Juden. Noch am selben Abend flohen sie aus Angst vor einem weiteren Übergriff.  Auf Grund einer Vorahnung versteckten sie das übrige Ersparte – tausend amerikanische Dollar – in einer Tora und legten sie zu weiteren Büchern in einen Sack, der ihnen von der SS im Verlauf der Flucht abgenommen wurde. In Niepolomice wurden sie mit Hilfe des Freundes – später Ehemann  seiner Schwester Lola – untergebracht und versorgt. Ungefähr ein Jahr später floh Herr Lesser im Alter von zwölf Jahren mit seiner Familie, von der er, seine Schwester Lola und deren Ehemann im Verlauf der Flucht getrennt wurden, nach Bochnia, weil SS-Offiziere ihren Aufenthalt in Niepolomice nicht mehr genehmigten. Dort wurden sie durch die Unterstützung eines alten Schulfreundes, der zur SS gehörte, versteckt. Als einzige Bedingung wurden sie dazu gezwungen mit weiteren jüdischen Familien in einer Textilien-Fabrik zu arbeiten. Aber auch dies hielt nicht lange an: ihr Versteck wurde entdeckt. Herr Lesser und seine Schwester konnten nur dadurch ihrem verfrühten Tod entgehen, dass sie sich in einem halb gefüllten Wassertank mit einer weiteren Familie versteckten. Als sie am nächsten Morgen zum eigentlichen Versteck in Bochnia zurückkehrten, lagen alle anderen Juden, die dort untergekommen waren, erschossen auf dem Boden. Verzweifelt und verstört zugleich zogen sie weiter.

Mit Hilfe eines Kohletransporters flohen sie nach Munkacs, wo sie ihren Onkel trafen, der versuchte sie bestmöglich zu unterstützen, indem er jedem von ihnen ein paar Schuhe gab, in deren Sohlen Diamanten versteckt waren. Jedoch wurden sie relativ bald auf ihrer Flucht verhaftet: gemäß der „Sonderaktion Ungarn“ der Nationalsozialisten wurden sie mit weiteren Juden in Viehwagons auf einer dreitägigen Fahrt nach Auschwitz gebracht. Dort überlebte Herr Lesser einen zweiwöchigen Aufenthalt und musste die Gräuel gegenüber der Juden mitverfolgen. Aus Zeitgründen konnte er uns leider nicht mehr über den Aufenthalt in Auschwitz berichten, machte uns aber auf sein Buch „Living a life that matters“ aufmerksam, in dem er den Aufenthalt in Auschwitz und die gesamte Verfolgung im kleinsten Detail beschreibt. „Glücklicherweise“ wurde Herr Lesser bald in ein benachbartes Arbeitslager Buchenwald umgesiedelt und musste dort im Bergbau arbeiten. Auch hier entkam er knapp dem Tod, indem er es schaffte den Peitschenschlägen der Aufseher Stand zu halten und somit auch nicht erschossen zu werden.

Als die sowjetischen Soldaten während des Zweiten Weltkriegs vom Osten her nach Buchenwald vorrückten, begannen die SS-Offiziere mit den von ihnen unterdrückten Juden einen Todesmarsch, der über Flossenbürg führte und in Nammering eine Pause einlegte, wobei die schwachen Juden erschossen und auf einem Feld zurückgelassen wurden. Von dort aus führte der Todesmarsch nach Dachau, wo Herr Lesser von Sowjetsoldaten letztlich befreit wurde. Die Soldaten kümmerten sich um die Überlebenden, die stark untergewichtig und schwach waren. Ein Großteil der Überlebenden starb jedoch daran, dass ihr Körper verlernt hatte Nährstoffe aus dem Essen aufzunehmen. Dadurch starb auch Herr Lessers Cousin in seinen Armen einen Tag nach der Befreiung. Aus den Folgen heraus fiel auch Herr Lesser in ein Koma, aus dem er nach zweieinhalb Monaten wieder erwachte. Seine Schwester Lola und er sind die einzigen Überlebenden aus seiner siebenköpfigen Familie.

Am Ende berichtete uns Herr Lesser, dass er auch noch heute nächtliche Alpträume über die Zeit in Auschwitz bekomme oder nachts weinend aufwache. Auch erzählte er uns, dass seine Schwester nun bereits eines natürlichen Todes gestorben sei. Ebenfalls war er begeistert, dass so viele SchülerInnen und LehrerInnen teilgenommen hätten, und erklärte, dass er den Deutschen für nichts die Schuld gebe, sondern den menschlichen Trieben das Verbrechen zuschreibe. Als Warnung gab er uns noch mit auf den Weg, dass wir auf keinen Fall den Hass siegen lassen dürften, der insbesondere jetzt, in Zeiten Coronas und aufkommender Verschwörungserzählungen, steige, und uns immer an die damalige Zeit erinnern sollen, damit es nie mehr zu so einer menschlichen Katastrophe kommen könne.

Wir bedanken uns rückblickend recht herzlich bei Herrn Lesser für diese persönlichen wie auch bewegenden Eindrücke aus der damaligen Zeit und hoffen auf ein „persönliches“ Wiedersehen in den nächsten Jahren! Gleichzeitig bedanken wir uns bei den Organisatoren des DGBs, die es uns ermöglichten, an einer derartigen Veranstaltung teil zu haben. Thanks a lot, Ben!

Autorinnen: Leticia Wiesner und Charlotte Kraus, Klasse 9a

Für Interessierte: Die Veranstaltung wurde vom DGB aufgezeichnet und steht kostenfrei unter https://www.youtube.com/watch?v=aQOMvLEBmxg zur Verfügung.